Internet und Medien Kinder- und Jugendarbeit

Jugendschutzgesetz: Novellierung kontraproduktiv

Das Bundeskabinett hat am 14.10.2020 einem Novellierungsentwurf zum Jugendschutzgesetz zugestimmt. Die nächste Instanz wird die Beratung im Bundestag sein.

Welcher Grund führt zur Novellierung?

Der Novellierungsentwurf wurde von der SPD-Familienministerin Giffey eingebracht. Er sieht den Schutz der Jugend in den Medien der digitalen Welt vor sexueller Belästigung, Tracking, Kostenfallen, Mobbing und Beleidigungen als nicht ausreichend gegeben an. Das Reformpaket beinhaltet neue Befugnisse für Bund und Länder sowie neue Verpflichtungen für Seitenanbieter. [1]Bundesregierung.de

Anbieterverantwortung und (Selbst-)Kontrolle?

Durch Alterskennzeichnung sowie sichere Voreinstellungen durch die Seitenanbieter inklusive Altersüberprüfung und -freigabe per PIN oder ähnlichem sollen Jugendliche demnächst besser vor vermeintlicher Hassrede, sexueller Belästigung und vielem weiteren geschützt werden. Die Altersgrenzen sollen zukünftig nicht mehr von der seit Jahren gut funktionierenden Selbstkontrolle, sondern von einer Bundeszentrale festgelegt werden. Konsequenzen für Seitenanbieter bei Verstoß sollen vorrangig Dialog und weitergehend Bußgelder sein.

Geltungsbereich?

Auch Anbieter aus dem Ausland will man zur Durchsetzung von Jugendschutzmechanismen verpflichten. Dass viele Pornoanbieter außerhalb Deutschlands sitzen, spielt da sicherlich eine größere Rolle. Doch für welche Seiten soll die Novellierung überhaupt gelten? Werden Presseerzeugnisse davon betroffen sein – die Seite x der „Zeitung“ mit den 4 Buchstaben und ihren nackten Tatsachen? Ist Youporn dann auch ein Presseerzeugnis, welches per Grundgesetz zu schützen ist?

Eine Zensur (für Presseerzeugnisse, A.d.V.) findet nicht statt.
Art. 5 Abs. 1 GG

Wo will man die Grenze ziehen und wer bestimmt diese Grenze?

Zensur oder Aufklärung?

Anstatt Minderjährige über sicheres Kommunikationsverhalten aufzuklären und sie zu befähigen, sich kompetent im Digitalen aufzuhalten, sollen Dinge „weggesperrt“ werden – was genau das sein wird, bestimmen Bund und Länder und Medienanbieter, wenn es nach dem Willen der Autoren dieses Gesetzesentwurfes geht. Wenn Medienanbieter zukünftig als Hilfssheriffs der Regierung agieren sollen, öffnet dies einer nicht zu kontrollierenden Zensur Tür und Tor. Ob Seitenanbieter dann auf Anordnung zensieren oder „vorsichtshalber“: Es würde das Netz und das Verhalten der Menschen in einer unerträglichen Form reglementieren. Es würde die Einschränkung von Freiheiten nach sich ziehen, wie wir sie sonst nur aus der VR China kennen. Das „Sozialkredit“-System ist dort das Orwell’sche Negativbeispiel.[2]vgl. Tagesspiegel

Erziehende wissen: Das Wegsperren oder Verstecken von Süßigkeiten, das Verbieten von Horror-DVDs oder später Pornoheften haben nicht den erhofften Effekt, völlig unabhängig von der Sinnhaftigkeit. Genau das ist doch der Wunschgedanke: Junge Menschen, die verantwortungsvoll agieren, die Interaktionsrisiken kennen und sich schützen können. Das lernt man aber nicht mit Wegsperren von Inhalten, sondern durch Aufklärung.[3]News.at
Und hier liegt das eigentliche Manko von Erziehern und Lehrern: Sie sind selten in der Lage, die notwendige Aufklärung sowie die Kompetenzen zu vermitteln, da sie ihnen selbst fehlen.[4]RND[5]Deutschlandfunk

Eignung des Gesetzesentwurfes?

Was oftmals nicht fehlt, ist die Kenntnis zur Umgehung von Inhaltssperren. Und hat jemand diese Kenntnisse, haben sie alle; das Netz weiß: Inhaltssperren sind auch von unversierten Nutzern meist einfach aufzuheben. Wenn das Gesetz damit für seinen Zweck gar nicht geeignet ist, ist es unverhältnismäßig.[6]Wikipedia zum Verhältnismäßigkeitsprinzip Die geplante Umsetzung kann den Schutz nicht gewährleisten. Doch nicht nur das.

Gesetzesentwurf kontraproduktiv?

Der Dienst TOR sowie VPNs könnten durch die Anwendung des Gesetzes gezwungen sein, ihre Anonymisierung zu schwächen, weil auch sie das Alter ihrer Nutzer kontrollieren müssten.
Im schlimmsten Falle könnten diese Anbieter ganz verboten werden; mit schwerwiegenden Folgen für alle, die auf Anonymität angewiesen sind: Pressefreiheit sowie Whistleblowerschutz würden unmöglich gemacht werden.[7]t3n.de
Und auch Kindern und Jugendlichen würde es geradezu unmöglich gemacht werden, anonym Hinweise zu geben – etwa auf sexuelle Belästigung, Mobbing und Beleidigungen. Das Gesetz bewirkt also ggf. genau das Gegenteil von dem erhofften Schutz.

Es bleibt zu überlegen, wessen Interessen mit diesem Gesetzesentwurf eigentlich vertreten werden.

Wir PIRATEN Braunschweig fordern:

  • Aufklärung statt Zensur: Kinder und Jugendliche müssen von kompetenten Lehrkräften in gut ausgestatteten Unterrichtsräumen auf das digitale Leben vorbereitet und über dessen Chancen und Gefahren aufgeklärt werden. Die Unterrichtsinhalte müssen sich an der Lebenswelt der Schüler orientieren und ihnen die aktuell notwendigen Kompetenzen vermitteln.
  • Keine grundgesetzwidrige Zensurinfrastruktur: Weder bei Medienanbietern noch bei einer neuen Bundeszentrale darf eine Zensurinfrastruktur aufgebaut werden.

Wir bekennen uns zu einer freiheitlichen Gesellschaft und fordern die Bundesregierung auf, den Wortlaut und den Geist des Grundgesetzes nicht zu verletzen.